VW in der Krise?
Gerald Balser, 19. Dezember 2023
Bild-Quelle: VW AG
Autos werden immer teurer, aber auch immer größer. Der aktuelle VW Polo übertrifft in seinen Abmessungen die des ersten VW Golf von 1974, gilt aber als Kleinwagen, dabei ist er technisch ausgestattet wie ein Oberklasse-Auto, mit einer Technik, die es zum Teil vor Jahren noch garnicht gab. Kein Wunder, dass das Grundmodell nicht unter 21.000 € zu bekommen ist.
Was ursprünglich der VW Polo war, ist heute der Kleinstwagen VW up! Aber auch der ist keine schlichtes Billigautos, dennoch erwartet der Kunde von einem kleinen Auto einen kleinen Preis. Das hat mit einem Grundpreis von 15.000 € ganz gut geklappt. Trotz seines Erfolges wird er Ende des Jahres auslaufen. Sind die in Wolfsburg denn verrückt geworden? Nein, die in Berlin und Brüssel haben die Anforderungen an den CO2-Ausstoß ab 01.01.2024 so stark erhöht, dass diese zwar technisch noch erreichbar wären, aber einen Kleinstwagen unwirtschaftlich machen.
Der Glaube, das Auto sei für die Veränderung des Klimas verantwortlich, ist immer noch in den Köpfen. EIn Verbot des Verbrenners muss her, es dürfen in Deutschland nur noch E-Autos zugelassen werden. So lautet der Ruf des Umweltschutzes. Bei den hohen Kosten für den Akku ist es in Deutschland heute kaum möglich, einen Kleinstwagen als Elektroauto mit einem akzeptablen Preis anzubieten. Verbrenner nicht gewollt, elektrisch zu teuer. Sind in Deutschland kleine Autos die ersten Opfer der Umweltpolitik?
In China liegen die Dinge anders. Dort hat man alles, was gebraucht wird: billige Arbeitskräfte, billige Energie, eigene Ressourcen, geschlossene Lieferkette, technischer Vorsprung. Allerdings fehlt (noch) die notwendige Erfahrung im Fahrzeugbau bei Qualität und Design. Können Deutsche Hersteller unter diesen Umständen dagegen halten? Die Edelmarken Mercedes, BMW und Audi, bei denen der Preis keine entscheidende Rolle spielt, sehr wahrscheinlich. Aber wie sieht es bei VW aus?
In China kämpft VW ums Überleben. Die Chinesen haben das Interesse am Verbrenner verloren und VW hat die Entwicklung von attraktiven Elektroautos für den chinesischen Markt nicht für nötig gehalten. Der deutsche ID.3 wurde kürzlich in China erst interessant, als VW ihn für unter umgerechnet 20.000 € anbot. Mit solchen Preisen macht man natürlich keine Gewinne. Die katastrophale Lage versucht VW durch den Kauf eines chinesischen Start-ups zu verbessern. VW will rein chinesische E-Autos zu chinesischen Marktpreisen ausschließlich für den chinesischen Markt entwickeln. Nach Deutschland werden diese Autos also nicht exportiert. Dabei fehlen VW solche Autos dringend, denn zur Überraschung von VW ist der als Golf-Nachfolger gedachte ID.3 auf dem deutschen Markt kein Renner. Die Situation erinnert mich an das Jahr 1972/1973, als VW mit dem Käfer in den Abgrund schaute. Die hatten damals allerdings mit den neuen Modellen Passat, Golf und Polo die rettenden Autos. Danach sieht es heute leider nicht aus. Das Geld verdienen immer noch die Verbrenner. Und die sind auch nicht gerade billig.
Ich befürchte, VW hat das Problem, als der Hersteller von Autos für das Volk, seinem Namen beim Elektroauto nicht mehr gerecht zu werden. Das billigste E-Modell, der ID.3, beginnt nach VW-Preisliste bei 40.000 €. Angetreten ist dieses Auto der Kompaktklasse, den Golf zu ersetzen. Wie konnte man bei einem Preisunterschied von 11.000 € Liste daran glauben? Eine deftige Umweltprämie war nötig, damit dieses Auto überhaupt gekauft wurde. Die wurde aber kürzlich über Nacht gestrichen. Wie wird es in Deutschland mit den nun wieder sehr teuren Elektroautos weiter gehen? Die zu erwartende Erhöhung des Strompreises wird die Lust am Elektroauto auch nicht beflügeln. Wird das Elektroauto zur Spielwiese der Wohlhabenden oder zum Ass der Chinesen oder gelingt es VW, die Produktionskosten deutlich zu drücken?
Nach dem jüngsten Ende der Umweltprämie bekommt der Verbrenner in Deutschland wahrscheinlich wieder Rückenwind. Das Begräbnis des Top-Modells von VW, des Golf, kann verschoben werden. Ob dies VW viel weiter hilft, ist fraglich. Seit Jahren sichert dieses erfolgreiche Modell zwar die Beschäftigung in Wolfsburg, trägt aber nichts oder nur sehr wenig zum Gewinn bei VW bei. Den teuren Standort Wolfsburg müssen die ausländischen Standorte subventionieren. Dass es auch anders geht, beweist Tesla. In Grünheide/Brandenburg bei Berlin produziert der Kalifornier mit weniger Arbeitern mehr Autos zu geringeren Kosten. VW hat also auch ein Kostenproblem. Dieses zu lösen, dürfte bei der mächtigen Gewerkschaft nicht einfach sein. Immerhin hat VW eine Reduzierung der Belegschaft angekündigt. Tesla ist aber nicht nur mit ihren Produkten und deren Produktion fortschrittlich, Tesla kommt auch ohne eine aufwendige Vertriebsorganisation sehr gut aus. Dagegen leistet sich VW eine sehr engmaschige, teure Händlerschaft, die gerne in Glaspalästen residiert, am liebsten ohne angeschlossene Werkstatt. Die persönliche Kundenberatung, Vertragsabwicklung und Autoübergabe kostet bis zu 20% des Listenpreises. Tesla hat die Möglichkeiten dieser Einsparung erkannt und setzt ausschließlich auf das Internet und den Online-Konfigurator. Die Beschränkung auf das Angebot nur weniger Komplettmodelle vereinfacht die Auswahl für den Kunden und erspart Kosten in Höhe bis zu 2.000 € pro Modell, die an den Kunden weitergegeben werden können. Aber auch andere Hersteller haben erkannt, dass das aus Imagegründen Festhalten an einem möglichst niedrigen Einstiegspreis letztendlich keinen Vorteil bringt. Im Gegenteil, der Kunde ist verärgert, wenn er den Einstiegspreis mit dem zu zahlenden Preis seines ausgewählten Modells vergleicht, Es gäbe also genügend Einsparmöglichkeiten, theoretisch. Tatsächlich sind, wie überall in Deutschland, grundlegende Änderungen kaum möglich.
Inzwischen arbeitet VW an der Entwicklung eines E-Autos unter 25.000 €. Der „ID.2all“ wäre nur 4.000 € teurer als ein Polo. Wenn das Design genauso stimmig wie der Preis wird, dann hätte VW tatsächlich einen Trumpf im Ärmel. VW schreibt auf seiner Web-Site: „Wie alle Modelle der ID. Familie basiert auch der ID.2all auf der MEB-Plattform, jedoch – und das ist das Besondere – auf dessen jüngster Evolutionsstufe MEB Entry. Die Studie setzt damit neue Maßstäbe in Sachen Technologie und Alltagstauglichkeit. Denn die modifizierte Plattform versetzte die Entwickler in die Lage, auf der kompakten Außenlänge eines Polo einen Innenraum im Format des Golf zu realisieren. Das Ergebnis: Viel Platz für die Passagiere und ein unerwartet großes Stauvolumen von etwa 490 bis zu 1.330 Litern, mit dem der ID.2all viele Fahrzeuge aus höheren Klassen übertrifft. Mit der weiterentwickelten MEB Entry-Plattform hält auch eine besonders effiziente Antriebs-, Batterie- und Ladetechnologie Einzug in den ID.2all. Er verfügt über eine rechnerische WLTP-Reichweite von bis zu 450 Kilometern, die Batterie lässt sich an DC-Schnellladesäulen (Gleichstrom) bei gemäßigter Außentemperatur und einer Ladeleistung von bis zu 350 kW binnen rund 20 Minuten wieder von zehn auf 80 Prozent aufladen. Der ID.2all ist damit ein vollwertiges Elektroauto für jeden Tag des Jahres.“ Verkaufsbeginn soll Anfang 2025 sein. VW nimmt den Mund ziemlich voll. Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Warten wir es ab!