Die Managementfehler von VW
Gerald Balser, 6. September 2024
Die Marke VW steckt in einer ernst zu nehmenden Krise und die Gründe dafür findet man nicht nur in der Politik, sondern auch in allen Bereichen des Unternehmens.
Für den Außenstehende am auffälligsten ist der Bereich Verkauf. Der Absatz des ehemaligen Welt-Marktführers geht kontinuierlich zurück. Vor allem der bisher so erfolgreiche und für VW so wichtige chinesische Markt schmiert regelrecht ab. Die E-Autos von VW scheinen aus Sicht der Chinesen nicht besonders attraktiv zu sein.
VW verscherbelt seine Modelle keineswegs, sondern ist mit seinen Preisen eher im oberen Segment angesiedelt. Dennoch sind die Modell-Margen im Vergleich mit den Wettbewerbern minimal und an den E-Autos verdient die Marke so gut wie nichts. Die deutschen Standorte, insbesondere Wolfsburg, produzieren viel zu teuer. Während Tesla in Grünheide zum Bau von 500.000 Autos im Jahr nur 10.000 Beschäftigte benötigt, baut VW in Wolfsburg mit 25.000 Menschen nur 700.000 Autos. Hinzu kommt der Haustarif von VW, der deutlich über dem Tarif von Tesla liegt.
VW besitz ein dichtes Händler-Netz. Gut für den Kunden, denn der VW-Händler liegt um die Ecke. Dieser Vorteil kostet VW immerhin 18 % seines Listenpreises. Natürlich verdienen die VW-Händler keine 18 % am verkauften Auto. Inzwischen bietet fast jeder VW-Händler seinem Kunden einen Hauspreis an, der seine Händlermarge drastisch schrumpfen lässt. Verschenkt wird dennoch nichts. Im Verkauf und Vertrieb liegen für VW noch erhebliche Sparpotentiale. Andere Hersteller machen es vor und verkaufen Online. Der Konfigurator auf der Web-Seite macht es möglich.
Wie sieht es bei VW zurzeit aus: Die Bürozeiten des Verkaufs beim Händler liegen von Montag bis Freitag zwischen 8:00 Uhr und 18:00 Uhr. In dieser Zeit, während der Verkäufer auf Kundschaft wartet, werden Büroarbeiten erledigt, Probefahrten organisiert, Kunden beraten, auch außer Haus, und die Verkaufsabwicklung am Computer erledigt. Danach beginnt die lange Wartezeit der Auslieferung in der der Verkäufer den Kunden vertrösten muss. Die Freude über das neue Auto wird gedämpft durch die zusätzlichen Kosten für die Überführung, die für den Golf immerhin stolze 850 € betragen. So mancher glaubt, sich die ersparen zu können und macht sich als Selbstabholer auf den Weg nach Wolfsburg in die Autostadt. Dort wartet auf ihn eine Überraschung. VW will von ihm für den Golf eine Auslieferungsgebühr in Höhe von 645 €. Für VW-Kunden, die nicht allzu weit entfernt wohnen, lohnt es sich dennoch nach Wolfsburg zu fahren. Die Selbstabholung in der Autostadt ist ein Event für die ganze Familie.
Wer schon einmal für längere Zeit in den USA gelebt hat, der kann sich über unsere deutschen Verhältnisse nur wundern. Der Kauf eines neuen Autos dort gestaltet sich so ähnlich, wie bei uns der Kauf eines Gebrauchten. Am Sonntagnachmittag fährt die ganze Familie zur Automeile und klappert einen Autohändler nach dem anderen ab. Der Sonntag ist in den USA der stärkste Verkaufstag für Autohändler. Auf dem Hof der Händler steht eine große Auswahl von Neuwagen. Die Vielfalt der Modelle ist in den USA begrenzt. Es werden nur wenige, gängige Farben und maximal drei Ausstattungsvarianten angeboten. Dabei sind die US-Autos immer recht gut ausgestattet. So ist es möglich, die Autos im gleichen Rhythmus vorzuproduzieren und sie dem Händler auf den Hof zu stellen. Wird man handelseinig, kann das Auto gleich mitgenommen werden. Für den Käufer gibt es keine bösen Überraschungen, keine zusätzlichen Überführungskosten und keine Lieferzeiten.
Die Probleme mit den Lieferketten haben VW zu der Entscheidung gebracht, sich von anderen Firmen, vor allem ausländischen, unabhängig zu machen. Vorher hatte man munter ausgesourct, da man selbst zu teuer produzierte.Die wichtige und komplizierte Auto-Elektronik wollte man im eigenen Haus entwickeln und einbauen, ausgerechnet in der Standort „Metropole“ Wolfsburg. Das konnte nicht gut gehen. Die zumeist sehr jungen Spezialisten gehen lieber zu renommierten, internationalen Software-Firmen nach Kalifornien ins Silicon Valley. Bis heute krankt es bei VW in diesem Bereich.
Es war das Verdienst des ehem. CEO Herbert Diess, der den Widerstand aufgegeben und die Entwicklung des E-Auto vorangetrieben hat. Bei der Transformation wurden leider grobe Managementfehler begangen. Was hatte das Management geritten, seine erfolgreichen Verbrenner als Auslaufmodelle zu bezeichnen. Auch bei der Namensgebung für die neuen E-Autos hatte VW leider kein glückliches Händchen. Das Marketing war wohl, der Ansicht, dass mit dem Verschwinden des Verbrenners auch die so erfolgreichen Namen verschwinden müssten und dass die neue Technik auch ein neues Design benötigte. Natürlich ist es richtig, die Möglichkeiten, die die neue Technik durch den sehr kleinen Elektromotor und den Wegfall von vielen Teilen bietet, auch zu nutzen, z.B. mehr Innenraum auf kompakter Fläche. Eine konsequente Umsetzung diese Vorteils darf aber nicht zu Lasten des Designs erfolgen. Gute, passende Namen zu finden ist für einen Global-Player nicht einfach. Man darf es sich aber mit dem Gebrauch von nichtssagenden Buchstaben-Zahlen-Kombinationen auch nicht zu einfach machen.
Geradezu Fahrlässig war es im Jahr 2019, den zukünftigen ID.3 als Weltauto und als den Nachfolger des Golfs offiziell anzukündigen. Damit wurden die Erwartungen der Kunden sehr hoch gesteckt, eigentlich viel zu hoch. Bei der Weltpremiere gab es lange Gesichter. Der Kunde erwartet von VW sicherlich eher ein nüchternes Design, aber der ID.3 ging in Richtung Hässlichkeit. Leider hat VW in seiner langen Geschichte auch darin eine gewisse Tradition. Die Anmutung des Innenraums weckte den Verdacht, dass man alle Sparmöglichkeiten ausgenutzt hatte, um den hohen Preis für das Grundmodell nicht noch weiter in die Höhe zu treiben. Die Premiere wurde zum Flop. Immerhin, das Facelift 2023 konnte die schlimmsten Fehler beseitigen.
Das neue Management hat versprochen, zukünftig mehr auf die Kundenwünsche einzugehen. Neue Möglichkeiten bietet die für 2028 startende neue Plattform SSP (Scalable Systems Plattform). Geplant ist eine neue Serie von E-Autos, die die aktuelle ID-Reihe ergänzen soll. VW holt damit etwas nach, was man von Anfang an hätte machen müssen. Geplant ist zunächst ein E-Auto mit dem Design-Charakter des Golf, intern bereits ID.Golf genannt. Die Kombination des Kürzels ID. mit einem echten Modellnamen wäre allerdings nicht ganz neu, denn ein erster Schritt in die richtige Richtig wurde mit dem ID.Buzz bereits gemacht. Wahrscheinlich bekommt jedes der VW-Verbrenner-Modelle sein elektrisches Gegenstück. Der Markt wird es weisen, ob man nicht irgendwann auf die aktuelle ID-Reihe verzichten kann. Ich kann bei der aktuellen schwierigen Situation nur hoffen, dass VW für die nächsten vier bzw. fünf entscheidenden Jahre genügend Atem hat.