VW erneut am Rande des Abgrundes?
Gerald Balser, 25. September 2024
VW steckt in der Krise. Nicht zum ersten Mal. Vor fast genau 50 Jahren stand VW am Rande des Abgrunds. VW verordnete einen Gehaltsstopp, ausscheidende Mitarbeiter wurden nicht ersetzt und wer freiwillig kündigte, bekam eine saftige Abfindung. Was war passiert, dass das Vorzeigeunternehmen des Wirtschafts-wunderlandes um seine Existenz fürchten musste? Wie sich die Bilder eben nicht gleichen. Damals hatte das Management viel zu lange am erfolgreichen Konzept luftgekühlter Heckmotor festgehalten und das neue, moderne Konzept wassergekühlter Frontmotor regelrecht verschlafen. VW hatte nur ein einziges Modell in der Entwicklung, den späteren Golf, und großes Glück, dass die Tochter Audi aushelfen konnte.
Den schweren Vorwurf, die Entwicklung des E-Autos verschlafen zu haben, kann man VW diesmal nicht machen. Der ehem. Vorstandsvorsitzende Herbert Diess war sogar einer der Vorreiter der notwendigen Transformation, denn ab 2035 soll in der EU kein neuer Verbrenner mehr zugelassen werden. VW war davon überzeugt, dass der Verbrenner, politisch gewollt, ein Auslaufmodell ist. Auch der Blick nach China sagte nichts anderes.
Fast über Nacht wurde der Meister VW zum Azubi. Der große Meister Tesla rieb sich die Hände und die tüchtigen chinesischen Gesellen legten sich ins Zeug. Der Azubi sollte das Meisterstück, eine schnelle Enwicklung bei größerer Unabhängigkeit von Zulieferern, erbringen. Dass Entwicklungen bei VW eher langsam verlaufen, ist bekannt, dass VW mit Sitz im provinzillen Wolfsburg kein guter Standort für eine eigene Softwarfirma ist, ebenso. Von Azubis hergestellte Produkte lassen sich nur zu niedrigen Preisen verkaufen. Am teuren Standort Deutschland ist dies aber unmöglich. VW kann nur teuer. Den VW-Aufpreis zu zahlen, sind die Kunden aber nur bereit, wenn VW das Versprechen hohe Qualität und Zuverlässigkeit einlösen kann.
Im Design erwarten die Kunden von VW eine gewisse Zurückhaltung und Kontinuität. Bei den neuen ID-Modellen wagte VW einen neuen Anfang. Die ID-Modelle sollten als E-Autos eigenständig sein und sich von den Verbrennern im Design deutlich unterscheiden. VW verließ das erfolgreiche Design von Golf & Co. und verpasste seinen E-Autos ein völlig neues Design, das den Vorteil des E-Autos "viel Raum auf kleiner Fläche" ausreizte.
Zu glauben, eine neue Technik brauche unbedingt auch eine technische Modell-Bezeichnung (ID.3), war ebenfalls falsch. Das Auto ist und bleibt ein besonderes Produkt mit einem hohen Anteil an Emotionen. Modell-Bezeichnungen müssen diesem Kunden-Anspruch mit aussagekräftigen, emotionalen Namen gerecht werden und erfolgreiche Modell-Namen gab es bei VW bereits.
Im Nachhinein war es gut so, denn der auf der Weltpremiere als offizieller Nachfolger des Golfs vorgestellte ID.3 war im Design und in der qualitativen Anmutung ein Schock und sehr teuer obendrein. Als ID.Golf hätte er wahrscheinlich dem Image des Verbrenners geschadet. Anzuraten wäre, das neue E-Design wieder aufzugeben, und das erfolgreiche Verbrenner-Design, leicht moderiert, zu verwenden, spätestens mit der Einführung des neuen Super-Baukastens SSP (Scalable Systems Platform).
Ein ID-Ass glaubt VW noch im Ärmel zu haben: Der ID.2, ein Klein-SUV, das noch Ende 2024 vorgestellt werden und Mitte 2025 beim Händler stehen soll. Über dessen Design scheint man sich bei VW noch nicht einig zu sein, denn es gibt Fotos vom Concept Car ID.2All, der im Design an den Polo erinnert, und Fotos vom ID.2, der eher wie ein geschrumpfter ID.3 aussieht. Wie furchtbar.