Wer allein bleibt, den bestraft das Leben!
Gerald Balser, 30. Januar 2023
Die deutsche Automobilindustrie ist nicht zu beneiden. Alles begann mit den ständig strenger werdenden Knebelgesetzen der Umweltpolitik. Die Lösungen zur Reduzierung der Emissionen wurden immer komplizierter und teurer. Anstatt sich zu beschweren, wurde getrickst. Der vermeidbare Dieselskandal war die Initialzündung zum Niedergang des Diesels und zum Aufstieg des E-Autos. Die Spitzenstellung der deutschen Automobilindustrie war in Gefahr, der Widerstand gegen den drohenden Technologiewandel leider uneinheitlich, gering und sehr kurz. Die deutsche Automobilindustrie glaubte, sich den Vorwurf, eine Entwicklung zu verschlafen, nicht leisten zu können.
Ein Wechsel der Technologie kann aber nicht auf Knopfdruck erfolgen, er ist eher ein langer Prozess. In dieser Zeit entstehen durch die Zweigleisigkeit zusätzliche, sehr hohe Entwicklungskosten. Es klingt paradox, aber die Verbrenner-Technik muss noch heute die sehr hohen Entwicklungskosten des E-Autos finanzieren. Man füttert das Raubtier, von dem man gefressen wird.
In vielerlei Hinsicht war für die deutsche Automobilindustrie, vor allem für VW, der Hersteller ausschließlich vollelektrischer Autos, die Marke Tesla, ein Vorbild. Das hoch innovative Silicon Valley in Kalifornien und Tesla waren der Konkurrenz technisch haushoch überlegen. Die deutschen Hersteller schauten auf Tesla wie das Kaninchen auf die Schlange. Dabei verlor man China, das ebenso innovative und schnell agierende Land mit einem riesigen Markt, etwas aus den Augen. Das war auch nicht unbedingt notwendig, denn China hatte bislang vergeblich versucht, mit seinen eher biederen Verbrennern auf dem deutschen und europäischen Markt Fuß zu fassen. Aktuell stellt sich das Bild ganz anders dar. China wittert mit der neuen Technik seine Chance und setzt voll auf das E-Auto, und zwar nicht unbegründet. Die im Land vorhandene billige Energie, die niedrigen Löhne und die gut ausgebildeten Ingenieure bilden zusammen die benötigten Voraussetzungen für einen Erfolg. Im Bereich digitaler Technik und Elektronik ist China den Europäern sogar überlegen. Wenn dann noch Materialqualität und Design stimmen, dann bekommen nicht nur die europäischen Hersteller, sondern auch der Vorreite Tesla das Fürchten gelehrt.
Der deutsche Autokäufer wird sich an neue Marken gewöhnen müssen: Aiways, BYD, NIO, Ora, usw. Wer es noch nicht wusste, die europäischen Traditionsmarken Volvo, Polestar, Lotus und MG gehören einem chinesischen Hersteller. Den Käufern von Klein- und Kompaktwagen macht China bislang kaum ein Angebot. Das wird sich aber bald ändern. Einen ersten chinesischen Konkurrenten des VW ID.3 hat der Hersteller vollelektrischer Autos Ora (Great Wall Motors) mit seinem im Retrostiel designten „Funky Cat“ auf den Markt gebracht. Die funkelnde Katze, eine Mischung aus Porsche und Mini, ist technisch auf der Höhe und gut ausgestattet bei einem Preis ab 38.990 Euro, 5.000 Euro unter dem Einstiegspreis des VW ID.3. Und so wird es weitergehen.
Was hat die deutsche Automobilindustrie dem entgegenzustellen? Bislang gar nichts. Jeder Hersteller wurschtelt für sich allein und ist dabei, für sehr viel Geld sein eigenes Rad zu erfinden. Eine deutsche Zusammenarbeit in dem Bereich Batterie und Software wäre überfällig. Der weltweite Absatz von deutschen Autos wäre groß genug, um eigene Halbleiter zu bauen. Die Übermacht China müsste eigentlich der Anlass dafür sein, das deutsche Klein-Klein-Denken endlich zu beenden und die vorhandenen riesigen Synergie-Effekte zu nutzen. In Anlehnung an das Zitat von Gorbatschow lässt sich feststellen: Wer allein bleibt, den bestraft das Leben. Aber warum sollte etwas funktionieren, was im politischen Bereich auf Länderebene auch nicht klappt.